Titel
Heroin. Vom Arzneimittel zur Droge


Autor(en)
de Ridder, Michael
Erschienen
Frankfurt a.M. 2000: Campus Verlag
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für Neue Politische Literatur und H-Soz-u-Kult von:
Gradmann, Christoph

HEROIN

Nur wenige Suchtmittel sind derart eindeutig negativ konnotiert wie das Heroin: Zerstochene Unterarme, ausgemergelte Süchtige, Beschaffungskriminalität, die Kinder vom Bahnhof Zoo etc. Daß dieses Bild einer mit hohem Suchtpotential belasteten Droge nur bedingt dem heutigen Stand des Wissens entspricht und etwa die gesundheitliche Verelendung eher aus den sozialen Folgen des Gebrauchs resultiert, hat sich mittlerweile herumgesprochen.

Der Frage, wie das seit den 1890er Jahren synthetisierte Alkaloid Diacetylmorphin in diesen Ruf gekommen ist, geht Michael de Ridders aus einer medizinhistorischen Promotion entstandenes Buch nach: Tatsächlich verdankte sich die Substanz als solche einem seinerzeit überaus populären chemischen Verfahren, der Acetylierung: Im Labor der Farbenfabriken Friedr. Bayer und Co. wurden innerhalb zweier Wochen im August 1897 Salicylsäure und Morphin acetyliert. Während aber das Aspirin sich durchgängig großer Beliebtheit erfreute, war die Karriere der zweiten Substanz, die man unter dem Warenzeichen Heroin schützen ließ, wechselvoll: Vor dem Ersten Weltkrieg dominierte zunächst der medizinische Nutzen. Das seinerzeit in der Regel oral verabreichte Mittel erfreute sich zur Linderung von Atemnot, als Schmerzmittel und zur Dämpfung übermäßigen sexuellen Appetits großer Beliebtheit. Im Sortiment der Farbenfabriken Friedr. Bayer rangierte es zeitweilig unter den zehn meistverkauften Präparaten und wurde sogar bei der Behandlung von Morphinisten eingesetzt.

Während die chemisch-pharmazeutische Industrie des Deutschen Reiches den größten Teil der Weltproduktion von einigen Tonnen beisteuerte, ging die Umbewertung des Heroins von den USA aus: Zusammen mit Opium, Alkohol und anderen Rauschmitteln verfiel es einer stigmatisierenden Thematisierung. Diese Umdeutung, der der Reihe nach die medizinischen Indikationen zum Opfer fielen, verdankte sich weniger einem nennenswerten Mißbrauch, den es im Unterschied zum Morphin kaum gab. Als wichtiger erscheint bei de Ridder ein Kulturschock, mit dem das puritanische Neuengland auf die zunehmend als bedrohlich empfundene Einwanderung aus Übersee reagierte und der die Bühne für die heroinkritische Wissenschaft bereitete.

Nach dem ersten Weltkrieg kam es dann zu verschiedenen Versuchen der Beschneidung von Handel und Produktion, die 1931 in dem Genfer Abkommen zur Begrenzung der Herstellung und des Verkaufs von Narkotika ihren Abschluß fanden: Danach kam der legale, medizinisch indizierte Einsatz des Heroins praktisch vollkommen zum Erliegen. Gleichzeitig betätigten sich die zentraleuropäischen Produzenten des Mittels als Pioniere moderner Drogenkartelle, indem sie, wie der Autor nachweist, ab Mitte der 20er Jahre ihre Produktion planmäßig illegal vermarkteten. Alle seit den 1960er Jahren unternommenen Versuche, das Mittel neben der kriminellen Rauschdroge als Schmerzmittel zu rehabilitieren, blieben erfolglos. Praktisch das einzige Land, in dem in diesem Sinne Heroin heutzutage legal produziert und verwendet wird, ist Großbritannien.

De Ridders Buch ist überaus informativ und lesbar, und seine Qualität liegt vor allem darin, dem pharmazeutischen Laien bemerkenswerte historische Zusammenhänge nahe zu bringen. Etwas störend ist, daß der Verfasser den jeweils letzten Stand des Wissens als quasi überhistorischen Maßstab verwendet. Sieht man entsprechend die Heroinsucht als Erkrankung des Zentralnervensystems, so erscheint das Wissen des Fin de Siècle als Irrtum, obwohl es doch, historisch besehen, seinerzeit durchaus zutraf. Daß Heroinanwendung das Atemvolumen vergrößerte, war um 1900 in gleicher Weise Stand des Wissens, wie es heute gesichert erscheint, daß gerade dies nicht der Fall ist. Im Resultat liegt die Gefahr eines solchen Vorgehens darin, zwischen "Legenden und Fakten" (so eine Kapitelüberschrift) zu unterscheiden, ohne zu erkennen, daß dieselben Aussagen je nach Zeitläuften das Lager wechseln können und Wissenschaft ohnedies an der Produktion beider beteiligt ist.

Trotz solcher methodischer Mängel bleibt de Ridders Buch eine überaus spannende und informative Lektüre, der man nur einen guten Absatz wünschen kann.

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Rezension hervorgegangen aus der Kooperation mit der Zeitschrift Neue Politische Literatur (NPL), Darmstadt (Redaktionelle Betreuung: Simone Gruen). http://www.ifs.tu-darmstadt.de/npl/
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